Die unscheinbaren Riesen der deutschen Nachrichtenmedien

Würde man zufällig Passanten in einer deutschen Fußgängerzone nach den wichtigsten Nachrichtenmedien im Netz fragen, würde man vor allem Marken wie Spiegel, Tagesschau oder Bild zu hören bekommen. Doch deren Markenpopularität spiegelt sich nur begrenzt in der tatsächlichen Verbreitung wider, denn in der deutschen Medienlandschaft gibt es zwei unterschätzte Riesen: Nachrichtennetzwerke und E-Mail-Anbieter.

Zusammenschlüsse und Netzwerke

Viele Redaktionen von regionalen oder lokalen Nachrichtenmedien wurden in den vergangenen Jahren geradezu entkernt. Die Sparstrategie ist dabei meistens, dass man Teile der Redaktion auslagert und Inhalte zentral für mehrere Medienmarken produziert. Profiteure davon sind Anbieter wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) oder Ippen Media, die beachtliche Reichweiten aufweisen. Das RND fungiert dabei als Nachrichtenagentur und liefert überregionale Inhalte für mehr als 60 Tageszeitungen. Zusätzlich betreibt das zum Madsack-Konzern gehörende Netzwerk ein eigenes Portal unter rnd.de.

Ähnlich agiert die Ippen-Gruppe, die ein kaum durchschaubares Netzwerk an Beteiligungen an regionalen Medien in ganz Deutschland betreibt und diese mit der hauseigenen Zentralredaktion mit überregionalen Inhalten versorgt. Laut eigenen Angaben verantwortet die Gruppe rund 80 Portale – und ist bei den Lesern mutmaßlich dennoch weitgehend unbekannt.

Zusammen verzeichnen die beiden Netzwerke über 400 Millionen Visits im Monat auf ihren Online-Portalen. Eine Größenordnung, die vermeintlich populärere Nachrichtenportale wie Spiegel.de (174 Millionen Visits/Monat) in den Schatten stellt und auf Augenhöhe mit dem größten öffentlich-rechtlichen Nachrichtenangebot Tagesschau.de ist.

Nachrichtenagenturen als Gatekeeper

Eine noch größere Medienmacht ist die erste und einzig verbliebene, überregionale Nachrichtenagentur in Deutschland, die Deutsche Presseagentur dpa. Sie unterhält Redaktionen an mehr als 50 Standorten in Deutschland und ein Netzwerk aus über 170 Korrespondenten im Ausland. Die dpa versorgt fast alle regionalen und überregionalen Tageszeitungen und Online-Angebote mit druckfertigen Texten sowie Fotos und Videos. Darüber hinaus agiert sie neuerdings auch als Factchecking-Dienstleister für internationale Social-Media Konzerne. Für eine gewisse Neutralität sorgt, dass die dpa 172 Gesellschafter hat, darunter alle wichtigen Verlage der Bundesrepublik. Zur Wahrheit gehört aber auch: Was dpa versendet, erscheint in dutzenden Nachrichtenangeboten, was dpa als irrelevant einstuft, hat es schwer, Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Agentur fungiert als Gatekeeper – und etliche Zeitungen produzieren aus Spar- oder Effizienzgründen tägliche Zeitungsseiten fast ausschließlich aus dpa-Material.

E-Mail-Anbieter mit Nachrichtenangebot

Und dann gibt es noch Nachrichtengiganten, die ihre Reichweite in den 2000er-Jahren mit kostenlosen oder kostenpflichtigen Webmail-Diensten generiert haben. Beispiele dafür sind T-Online, das von der Telekom im Jahr 2015 an den Werbevermarkter Ströer verkauft wurde, oder auch Web.de und GMX, die beide heute zum Internetprovider United Internet gehören. Auf deren Startseiten findet man noch heute prominent den Login zum Webmail-Service, aber vor allem Nachrichten aus allen Themengebieten. Mit diesem Angebot beherrschen sie zusammen mehr als neun Prozent des Nachrichtenmarktes.

Sowohl der Werbevermarkter Ströer als auch der Telekommunikationsdienstleister United Internet nehmen dabei den journalistischen Auftrag durchaus ernst. Web.de und GMX, zwei Portale mit identischen Inhalten, beschäftigen 50 Mitarbeiter in ihrer Redaktion, T-Online gar 150 Redakteure.

Dahinter steckt ein simples, aber erfolgreiches Prinzip: Die Nutzer des E-Mail-Angebots kehren immer wieder auf die Portale zurück, um ihre E-Mails abzurufen. Dabei werden ihnen beim Anmelden, aber auch im Posteingang und in den E-Mails selbst die redaktionellen und werblichen Inhalten der Portale präsentiert. Letztlich ist es daher schwierig genau zu sagen, wie viele der Nutzer die journalistischen Inhalte auch tatsächlich lesen oder anschauen, kommen sie doch oft mit einer anderen Intention auf die Seite. Fest steht, es ist ein kommerziell erfolgreiches Modell, die Redaktionen gewinnen mittlerweile auch Medienpreise und die wichtigsten Politiker des Landes geben bereitwillig Interviews auf den Portalen.

Die Digitalisierung zwingt viele Verlage zur Transformation ihrer Prozesse. Der Sparzwang auf der einen Seite und neue Erfolgsmechanismen durch Google und soziale Netzwerke auf der anderen Seite mischen die Karten neu. Während althergebrachte Medienunternehmen versuchen, mit Netzwerken wie RND oder dpa-Material die Kosten zu reduzieren, ploppen an anderer Stelle ganz neue Player wie GMX oder T-Online auf und sichern sich große Markanteile. Das alles führt zu vielen neuen Medienmarken, aber zunehmend auch zu weniger Vielfalt im Inhalt selbst, da sich etliche Zeitungsseiten wie auch Online-News zum großen Teil gleichen oder von gleichen Anbietern versorgt werden.

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