Politischer Einfluss auf Medien in Deutschland
„Die Presse ist frei“
In allen 16 Landespressegesetzen ist an erster Stelle derselbe Satz festgeschrieben: „Die Presse ist frei.“ Auch das Grundgesetz schützt in Artikel 5 die mediale Berichterstattung vor staatlichem Einfluss. Zusätzlich wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem nach dem Vorbild der BBC in Großbritannien geschaffen, das einen staatsfernen, durch die Öffentlichkeit finanzierten und so unabhängigen Rundfunk garantieren sollte. Wie effektiv diese Schutzmechanismen sind, ist seit vielen Jahren immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Auch wenn für das deutsche Mediensystem – anders als in früheren MOM-Projekten, wie beispielsweise Kolumbien und Indien – keine direkte Beteiligung von einzelnen Politikern an Medienunternehmen gefunden werden konnte, bieten zwei Punkte dennoch Anlass zur kritischen Betrachtung.
Ein Angebot ihrer SPD
In Deutschland gibt es kein generelles Verbot von Beteiligungen an Medienunternehmen durch Politiker oder Parteien. Abgeordnete und Parteien unterliegen jedoch gewissen Transparenzgeboten. Das Parteiengesetz schreibt vor, dass Beteiligungen an Medienunternehmen durch Parteien in ihren Rechenschaftsberichten offengelegt werden müssen (§27 Abs. 7 Nr. 2 PartG). Insofern ist es kein Geheimnis, dass die SPD über ihre 100-prozentige Tochtergesellschaft ddvg (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH) Anteile an diversen Medienunternehmen hält. Auch in ihrem Rechenschaftsbericht listet die Partei die Beteiligungen auf.
Die SPD ist auch nicht die einzige Partei, die Medienbeteiligungen besitzt. Eine Abfrage des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zeigte vielmehr, dass bis auf die AfD und Bündnis90/Die Grünen alle Parteien im Parlament im Medienbereich unternehmerisch tätig sind. Die letzte Erhebung dazu fand 2019 statt. Zu dem veralteten Wissensstand gesellt sich der Umstand, dass diese Abfragen nicht regelmäßig, sondern nur auf Anfrage von Abgeordneten des deutschen Bundestages durchgeführt werden und auf Angaben in den Rechenschaftsberichten der Parteien basieren.
Was folgt daraus? Im Rahmen des MOM Germany Projektes wurden nur vier Verbindungen der SPD genauer untersucht: die Beteiligung an der Madsack Mediengruppe, die zu einem Viertel in SPD-Hand ist, sowie die Beteiligung an drei privaten Rundfunkunternehmen (Radio NRW, Regiocast und Antenne Bayern Group). Während die Madsack Mediengruppe im SPD-Rechenschaftsbericht erwähnt wird, fehlen beispielsweise die Angaben zu den Radiosendern. Der Grund hierfür dürfte in der Beteiligungsstruktur liegen. Im Falle der Regiocast hält die SPD beispielsweise ihre Anteile über 45 verschiedene Einzelbeteiligungen an diversen anderen Medienunternehmen, aber keine davon direkt. Insofern bleiben diese Anteile unsichtbar. Auch die ddvg nennt zwar die Beteiligung an Madsack, nicht aber die an Regiocast. Die Suche nach einer vollständigen Auflistung der Medien mit SPD-Beteiligung gleicht damit einem Fass ohne Boden, die Anzahl der betroffenen Zeitungen, Zeitschriften und Onlinemedien geht in die Hunderte. Medien wie die Neue Westfälische, die teilweise in SPD-Eigentum sind, berichten häufig ohne Hinweis auf die Eigentümerstruktur über die Partei. In dieser Hinsicht kann daher ein klares Transparenzdefizit festgestellt werden.
Die SPD stützt sich in der Verteidigung ihrer Beteiligungen häufig auf deren historische Entstehungsgeschichte. Weil Arbeiterzeitungen so unpopulär waren, dass etablierte Druckereien und Verlage sie nicht publizieren wollten, gründeten Parteimitglieder ihre eigenen Betriebe – der Grundstein für das ddvg-Imperium war gelegt. „Diese Druckereien sind selbst erarbeitet“, kommentierte der Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann die Beteiligungen während einer Bundestagsdebatte im September 2023.
Und doch geht diese Argumentation am Kern der Kritik vorbei: Vor allem durch die Madsack Mediengruppe, aber auch durch die Anteile an diversen kleinen Publikationen entfalten die Beteiligungen der SPD eine enorme Breitenwirkung. Und auch wenn im Rahmen dieses Projektes keine Anzeichen für eine direkte Einflussnahme auftraten, zeigen Äußerungen der ehemaligen SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier das Potenzial dafür auf: In einem Interview mit der Zeitung Welt (2000) sagte sie angesprochen auf den Einfluss der Partei: „Da haben wir in einigen Fällen ein Vetorecht. (…) Selbstverständlich würden wir intervenieren, wenn ein Verlag einen Republikaner oder einen PDS-Mann zum Chefredakteur machte.“ Auf Anfrage teilt ein Sprecher der SPD mit: „Gesonderte Veto-Rechte im Hinblick Chefredaktionspositionen bestehen seit langem nicht mehr.“ Weder der Schatzmeister noch die SPD sei in die operativen Tätigkeiten der ddvg involviert und nehme keinen persönlichen Einfluss auf Entscheidungsprozesse.
Im Sinne einer transparenten Eigentümerschaft wäre es jedoch geboten, die betroffenen Medien gesammelt in Rechenschaftsberichten auszuweisen. Umgekehrt könnten auch die Medien selbst aktiv werden: Angaben im Impressum zur Eigentümerstruktur fehlten bislang in allen untersuchten Angeboten.
Staatsfern, aber nicht staatsfrei
Zum ersten Mal in der MOM-Geschichte wurde ein Mediensystem untersucht, in dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine zentrale Rolle spielte. Mit sieben von zehn Radiosendern in der Auswahl der wichtigsten meinungsbildenden Stationen dominiert das öffentlich-rechtliche Angebot den Radiosektor. Auch im TV-Bereich war fast die Hälfte der wichtigsten und reichweitenstärksten Sender öffentlich-rechtlich. Das Konzept von Eigentümerschaft ist auf diese Art von Medien jedoch nur beschränkt anwendbar: sie gehören als Anstalten des öffentlichen Rechts entweder sich selbst, oder, in einer Art ideeller Eigentümerschaft, allen, die ihn durch ihren Rundfunkbeitrag finanzieren.
Per Definition ist dieses System also staatsfern organisiert. Allerdings bedeutet staatsfern nicht automatisch „staatsfrei“. Im Gegenteil findet sich in den Aufsichtsgremien der untersuchten Rundfunkanstalten eine Vielzahl staatlicher oder zumindest staatsnaher Mitglieder. Teilweise ist dies gesetzlich vorgesehen: den Aufsichtsratsvorsitz hat gemäß des Bayerischen Rundfunkgesetzes (BayRG) die Präsidentin des Landtages, derzeit Ilse Aigner, inne. Sie gehört naturgemäß einer der im Landtag vertretenen Parteien an, in diesem Falle der Regierungspartei CSU. Insgesamt gehören mehr als ein Viertel der 50 Rundfunkratsmitglieder des BR einer im Landtag vertretenen Partei an.
Nur eine einzige Rundfunkanstalt, der WDR, stellt umfangreiche Informationen zu den Mitgliedern seiner Gremien bereit. Dies umfasst Lebensläufe sowie regelmäßig aktualisierte Informationen zu beruflichen und sonstigen Tätigkeiten wie Partei- oder Vorstandsämtern. Insgesamt befinden sich unter den 109 Mitgliedern und Stellvertretern des WDR-Rundfunkrates 14 Landtagsmitglieder, aber insgesamt 23 Personen (21%) mit Parteizugehörigkeit oder aktiven Ämtern in Parteien.
Ein ähnliches Bild ergab die Erhebung für SWR und NDR: im Rundfunkrat des SWR finden sich 12 Landtagsabgeordnete (16%), für den NDR liegt die Quote mit 11 von 58 (19%) etwas höher. Wie viele Mitglieder darüber hinaus Ämter oder Verbindungen zu Parteien haben, lässt sich indes aufgrund fehlender Informationen nicht mit Sicherheit bestimmen. Über den Intendanten des SWR, Kai Gniffke, ist jedoch bekannt, dass er bereits seit 1982 Mitglied der SPD ist. Dies lässt sich in einer ausführlichen Stellungnahme Gniffkes auf der Website des SWR nachvollziehen.
Die auffälligsten Verbindungen in die Politik hat unsere Untersuchung im Fernsehrat des ZDF festgestellt. Zehn Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das eine stärkere Begrenzung staatlicher und staatsnaher Mitglieder in den ZDF-Gremien zur Folge hatte, gibt die Zusammensetzung immer noch Grund zur Debatte. Im Verwaltungsrat des ZDF befinden sich drei aktive Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie die ehemalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die erst im Juli 2024 ihr Amt abgab. Sie halten insgesamt vier der zwölf Stimmen, also gerade so viele, wie es das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zulässt. Relevant ist jedoch nicht nur die Anzahl, sondern auch die Position der Mitglieder, wie am Beispiel des Fernsehrates deutlich wird.
Zwar entspricht die Zusammensetzung den gesetzlichen Bestimmungen des ZDF-Staatsvertrages, der beispielsweise zwei Vertreter des Bundes sowie 16 Vertreter der Länder vorsieht. Allerdings würde dies nicht automatisch erfordern, dass es sich bei diesen Vertretern um aktive Mitglieder der Regierungen oder politische Beamte handelt. Trotzdem finden sich im Fernsehrat aktuell eine aktive Bundesministerin, zwei aktive Landesminister, neun aktive Staatssekretäre und -minister, ein Mitglied des Bundestages sowie – besonders problematisch – eine Regierungssprecherin. Sechs weitere Personen sind frühere Regierungsmitglieder. Auch fehlt es an einheitlichen Regelungen zu den biographischen Auskünften. Während einige Mitglieder als „Minister a.D.“ betitelt werden, wird der ehemalige Bundesjustiz- und Außenminister Heiko Maaß schlicht als „Jurist“ geführt. Ein Verweis auf seine früheren Ämter findet sich in der Biografie nicht. Auch die Vize-Vorsitzende des Fernsehrates, Katrin Kroemer, hat Verbindungen zur Politik: sie ist Mitarbeiterin im Wahlkreisbüros des SPD-Bundestagsabgeordneten Helge Lindh, dem medienpolitischen Sprecher seiner Fraktion.
Insgesamt lässt sich also feststellen: Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Sender die gesetzlichen Bestimmungen zur Zusammensetzung ihrer Gremien einhalten, bestünde dennoch die Möglichkeit durch die Politik, die Posten in Verwaltungs- und Rundfunkräten mit weniger staatsnahen Mitgliedern zu besetzen und die staatsnahen Mitglieder transparenter zu kennzeichnen. In einer Zeit, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk insgesamt schweren Attacken ausgesetzt ist und sich gegen den Vorwurf wehren muss, „Staatsfunk“ zu sein, wäre dies auch im eigenen Interesse.